Die Covid-19-Pandemie und die Unternehmerinnen in Pankow
Auswertung der Umfrage 2021 unter Unternehmerinnen und weiblichen Soloselbständigen
Vorbemerkung
Was macht die Covid-19-Pandemie mit Unternehmerinnen und weiblichen Soloselbständigen in Pankow? Das Büro für Wirtschaftsförderung und der Verein Unternehmerinnen Plus des Bezirks Pankow wollten es genauer wissen und starteten im Mai 2021 eine anonyme Online-Umfrage.
Bis zum August 2021 beteiligten sich 120 Teilnehmerinnen. Hier wird nun eine erste Auswertung der Ergebnisse vorgelegt. Die bisherigen Ergebnisse und das Andauern der Pandemie führten beim Büro für Wirtschaftsförderung zum Entschluss, die Umfrage gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung Mitte fortzuführen und ausgewählte Aspekte der ersten Umfrage zu vertiefen.
Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse
Fast zwei Drittel der Unternehmerinnen und Selbständigen bewertete ihre geschäftliche Entwicklung in dieser Zeit negativ, nur ein Viertel sah sie positiv. Erhöhter Aufwand führte oft nicht zu einem Umsatzplus - das nur acht Prozent der Teilnehmerinnen verzeichnen konnten. Beklagt wurde der Preisdruck durch die Kundschaft.
Die stärkere Digitalisierung wurde unterschiedlich erlebt: Knapp die Hälfte der Teilnehmerinnen bewertet sie positiv, knapp ein Viertel negativ. Obwohl sich die Geschäftstätigkeit oft in die die eigene Wohnung verlagerte, blieben die privaten Verhältnisse stabil. Nur eine Minderheit der Frauen mit Kindern beschrieb einen erhöhten Aufwand für die Kinderbetreuung. Auffällig war die starke Stimmungsverschlechterung im Verlaufe der Pandemie: Optimistischere Aussagen im ersten Lockdown wichen zunehmend pessimistischeren Aussagen im zweiten Lockdown. Hier wurden auch öffentliche Förderprogramme weitaus weniger genutzt.
Warum konzentriert sich diese Studie auf Unternehmerinnen?
Im Frühjahr 2021 war klar geworden, dass die Pandemie die Frauen stärker treffen würde – und die Freiberuflichen und Selbständigen in besonderem Maße. Mehrere Untersuchungen ergaben, dass bei ihnen der „Gender Gap“ während der Corona-Krise besonders stark ausgeprägt ist. Eine Studie von KfW Research vom März 2021 zeigte, dass 35 Prozent der selbständigen Männer, aber 45 Prozent der Frauen mehr als die Hälfte der erwarteten Umsätze verloren hatten. Unbeschadet von der Krise blieben 25 Prozent der Unternehmer, aber nur 15 Prozent der Unternehmerinnen. Zu ähnlichen Ergebnissen kam der DIW Wochenbericht im April 2021, der auf Erhebungen vom April bis Juli 2020 basierte. 47 Prozent der selbständigen Männer, aber 63 Prozent der Frauen mussten deutliche Einkommensverluste hinnehmen.
Auch die Auswertung der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung im September 2021 ergab, dass sich seit Beginn der Pandemie-Maßnahmen der Anteil der gering verdienenden Selbständigen mit einem Nettoeinkommen von weniger als 1500 Euro verdoppelt hatte: 33 Prozent der befragten Frauen, dagegen nur 18 Prozent der Männer fielen in diese Kategorie.
Die Pankower Umfrage konzentrierte sich nun ganz auf die Unternehmerinnen und weiblichen Soloselbständigen und zielte nicht nur darauf, wirtschaftliche Faktoren zu erfassen, sondern auch die mentalen und psychischen Folgen sowie Ideen, Pläne und Strategien für die Zukunft zu erfragen.
Wer beteiligte sich an der Online-Umfrage?
Die 120 Teilnehmerinnen repräsentieren eine breite Altersmischung. Die jüngste von ihnen waren 30, die älteste 78 Jahre alt. Der Altersschnitt betrug knapp 49 Jahre. Die übergroße Mehrzahl (85 Prozent) führt ihr Unternehmen selbst, mehr als die Hälfte arbeitetet komplett allein.
Die größten Teilnehmerinnengruppen arbeiten in den Bereichen Kultur und Medien - insgesamt 36,7 Prozent. Aus den Bereichen Kultur, Film, Fotografie stammten 21,7 Prozent, dazu gaben jeweils 7,5 Prozent an, als Übersetzerinnen und Lektorinnen bzw. als Journalistinnen und im Bereich PR zu arbeiten.
Eine zweite große Gruppe arbeite in sozialen Bereichen, die einen persönlichen Kontakt erfordern und deshalb von den Einschränkungen stärker betroffen waren. 29,2 Prozent waren tätig in den Feldern Training und Coaching, Schule und Unterricht; 8,3 Prozent in Gesundheit, Medizin und Therapie.
Überraschend wenige Teilnehmerinnen arbeiteten in den Bereichen Wellness, Friseur, Kosmetik, die von den Maßnahmen besonders stark betroffen gewesen sein dürften - nur 1,7 Prozent. Hier ist zu vermuten, dass sie, anders als etwa Journalistinnen und Kulturschaffende, dem Instrument einer Online-Befragung weniger aufgeschlossen gegenüberstanden oder nicht erreicht wurden, sie also gezielter angesprochen werden müssten.
Andere Branchen, die weitaus weniger von den Einschränkungen betroffen waren, sind wiederum traditionell noch stark männlich dominiert, etwa die Dienstleistungen im Bereich IT/Software sowie Ingenieure und Architekten. Nur 1,7 Prozent bzw. 2,5 der Befragten stammten aus den beiden Bereichen. Der KfW Research Report 324 und der DIW Wochenreport 15/2021 wiesen darauf hin, dass Branchen mit einem hohen Männeranteil insgesamt deutlich schwächer von Einkommenseinbußen durch die Pandemie-Maßnahmen betroffen waren.
Welche wirtschaftlichen Folgen hatten die Covid-19-Pandemie für die Unternehmerinnen in Pankow?
Wie erwartet, führten die Auswirkungen der Pandemie zu einer verringerten bzw. negativen Geschäftstätigkeit der meisten Interviewten. 61 Prozent bewerteten die Entwicklung ihrer Geschäftstätigkeit als negativ oder sehr negativ, nur 22 Prozent als positiv bzw. sehr positiv. 56 Prozent verzeichneten weniger Kund:innen, nur 13 Prozent mehr. Die Tendenz des Verhaltens der Kundschaft wurde als etwas flexibler und etwas sparsamer beschrieben. Der Preisdruck der Kund:innen wurde mit Abstand als häufigste Ursache genannt, als nach vorgenommenen Änderungen in der Preisstruktur gefragt wurde.
13 Prozent der Teilnehmerinnen gaben sogar an, ihre Tätigkeit zumindest zeitweilig ganz eingestellt zu haben. Staatliche Schließungsanordnungen waren die mit Abstand größte Ursache (knapp 93 Prozent), aber auch fehlende Nachfrage (57 Prozent) und der Ausfall von Mitarbeiterinnen wurden genannt (21 Prozent). Hier waren Mehrfachantworten möglich.
48 Prozent der Teilnehmerinnen verzeichneten weniger Tätigkeit. Jeweils 45 Prozent dieser Gruppe schätzte den verringerten Umfang auf einen Wert zwischen einem Viertel und der Hälfte bzw. mehr als der Hälfte. Die gesunkene Nachfrage wurde als Hauptgrund (69 Prozent) benannt. Dementsprechend verzeichnete auch die übergroße Mehrheit der Befragten, nämlich 68 Prozent, einen Umsatzrückgang.
Eine gleichbleibende Tätigkeit verzeichneten 22 Prozent. 31 Prozent, 34 Teilnehmerinnen, konnten oder mussten ihre Tätigkeit ausbauen. Knapp die Hälfte davon schätzte den Anstieg auf einen Wert zwischen einem Viertel und der Hälfte der Arbeitszeit. Diese Mehrtätigkeit führte aber nicht zu einem Umsatzplus im selben Maße, den nur acht Prozent aller Befragten ausweisen konnten. Das Missverhältnis zwischen Aufwand und Einnahmen illustriert beispielhaft die Aussage einer Lehrerin, die anführt, sie habe 95 Prozent weniger Schüler, aber einen extrem erhöhten Aufwand pro Schüler.
Welche sozialen und psychischen Folgen hatte die Covid-19-Pandemie für die Unternehmerinnen in Pankow?
Eine deutliche Mehrheit von knapp 60 Prozent erlebte mehr Stress, nur gut 12 Prozent erlebten die Pandemie-Zeit stressfreier. Die privaten Verhältnisse erwiesen sich überwiegend als stabil. Zwar klagten einzelne Teilnehmerinnen über Gefühle von Überforderung, über konfliktreichere Wohnverhältnisse durch Home Schooling und Home Office und ein Zurückwerfen auf die Rolle als Hausfrau. Die Auskünfte insgesamt aber zeigten, dass nicht alle die Belastungen als dramatisch erlebten. Eine stärkere Belastung durch häusliche Arbeit gaben 36 Prozent an. Obwohl 55 Prozent der Befragten Kinder haben, mussten nur 19 Prozent den Aufwand für die Betreuung erhöhen. Zwei Drittel der Teilnehmerinnen mussten weniger Zeit für Fahrten aufwenden, fast 60 Prozent spürten eine höhere Flexibilisierung.
Besonders bemerkenswert und aufschlussreich aber ist die Entwicklung des Stimmungsbildes. Deutlich wird, dass positivere, optimistische Aussagen wie „Der Lockdown ist eine Chance“ oder „Ich habe nun Zeit, neue Ideen zu entwickeln“ im zweiten Lockdown stark zurückgingen, während pessimistische Stimmungen wie Einsamkeit und Ratlosigkeit deutlich zunahmen.
Wie reagierten die Unternehmerinnen auf die neue Situation?
Der wichtigste Faktor bei der Reaktion auf die Kontaktbeschränkungen war die veränderte Kommunikation, vor allem die Digitalisierung. Genau die Hälfte der Befragten gab an, ihre Kommunikation generell verändert zu haben, mehr als 85 Prozent gegenüber den Kund:innen, fast 60 Prozent gegenüber den Kolleg:innen.
Im Bereich der Arbeitskommunikation setzten 71 Prozent auf eine stärkere Digitalisierung. Knapp die Hälfte der Befragten benannte daneben die technischen Voraussetzungen, die Datensicherheit, die Kommunikation mit den Kund:innen und die Werbung als wichtige Felder der Digitalisierung. Meetings und Redaktionskonferenzen wurden häufig online abgehalten, soziale Medien verstärkt genutzt. Der Hauptarbeitsraum verlagerte sich in die private Wohnung.
Knapp die Hälfte erlebte die Digitalisierung als Gewinn, meistgenannter Faktor war die Zeitersparnis durch weniger Fahrten. Knapp ein Viertel aber beschrieb die Digitalisierung nicht als Gewinn, etwa, weil online nicht dieselbe persönliche Beratung möglich sei und ältere Kund:innen erst an diese Formen herangeführt werden mussten. Für freiberufliche Künstlerinnen sind Livestream-Konzerte nur ein sehr schwacher Ersatz: Es fehle sowohl die Atmosphäre als auch der Umsatz, beklagte eine Teilnehmerin.
Auf welche Unterstützungen konnten die Teilnehmerinnen bauen?
DieErgebnisse zeigten hier eine klare Entwicklung vom erstem zum zweitem Lockdown auf: Die Inanspruchnahme öffentlicher Förderprogramme ging deutlich zurück. Während des ersten Lockdowns hatte noch gut die Hälfte der Teilnehmerinnen die Soforthilfe 1 beantragt – 92 Prozent bekamen sie auch. Die Soforthilfe 2 beantragten nur noch zehn Prozent. Die November- und Dezemberhilfe nahm nur noch jede Sechste in Anspruch. Im ersten Lockdown verzichteten nur 30 Prozent auf Fördergelder, im zweiten mehr als 60 Prozent.
Das dürfte nicht etwa daran liegen, dass die Unternehmerinnen und Selbständigen finanziell besser auf die Pandemie eingestellt gewesen wären – denn das Stimmungsbild zeigte ja eine deutlich negative Tendenz. Eine Teilnehmerin zeigte sich empört, dass sie trotz eines 50 prozentigen Umsatzrückgangs die gesamte Förderung zurückzahlen musste.
Auf private Reserven zurückgegriffen hatte etwa ein Sechstel der Teilnehmerinnen. Bei der Frage, wie sie sich auf die Pandemie besser hätten vorbereiten können, wurde als zweithäufigste Antwort die eigene Vorsorge genannt: finanzielle Engpässe vermeiden, mehr sparen.
Welche Themen sollten fortgeführt, ausgeweitet und vertieft werden?
Es bietet sich die Weiterführung vor allem jener Fragen an, die eine Entwicklung beschreiben, etwa die Fragen nach den Stimmungen und öffentlichen Hilfen.
Da ab April 2022 nach einem Auslaufen vieler Einschränkungen ein vorläufiges Fazit gezogen werden kann, sollten die Fragen danach möglichst offen gestellt sein, damit die Teilnehmerinnen eigene Erlebnisse auch verbal einbringen können.
Thematisch bieten sich zwei Komplexe an. Zum einen die Fragen nach wirtschafts- und sozialpolitischen Elementen. So könnte nachgefragt werden, inwieweit die bisherigen öffentlichen Förderprogramme passgenau auf besonders eingeschränkte Branchen mit starken persönlichen Kontakten zugeschnitten waren, wie gut sie kommuniziert wurden und wie einfach oder kompliziert die Beantragung und Gewährung war. Um Schlussfolgerungen für zukünftige Herausforderungen dieser Dimension zu gewinnen, könnte danach gefragt werden, wie die sozialen Absicherungssysteme verbessert werden könnten. Die Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung forderte eine sozialversicherungsrechtliche Gleichbehandlung von Selbstständigen und abhängig Beschäftigten sowie Tarifverträge für Solo-Selbständige mit ihren Auftraggebern.
Vertieft werden sollten, vor allem in den Einzelinterviews, auch die Fragen zur psychischen Situation, ausgehend von der negativen Stimmungstendenz der bisherigen Umfrage. Auch der DIW-Wochenbericht vom April 2021 hatte eine starke Zunahme von Depressionen und Angstzuständen bei weiblichen Unternehmerinnen während der Pandemie konstatiert. Die Teilnehmerinnen könnten gefragt werden, welche Unterstützungen sie sich wünschen würden, um ihre psychische Situation zu stabilisieren.
Zitierte Studien:
Dr. Georg Metzger: Branchenbedingt trifft Corona-Krise Frauen härter als Männer, KfW Research Fokus Volkswirtschaft Nr. 324 vom 15.03.2021,
Johannes Seebauer/ Alexander S. Kritikos / Daniel Graeber: Warum vor allem weibliche Selbstständige Verliererinnen der Covid-19-Krise sind, Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) 15 / 2021, S. 261-269
Dr. Karin Schulze Buschoff / Dr. Helge Emmler: Selbständige in der Corona-Krise, Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, WSI Policy Brief Nr. 60, 21.09.2021